Die Tragik der AmpelmännchenIch wollte auch die Buchstaben tanzen lassen und bewarb mich für ein Stipendium an unserer Schule, um einen solchen Workshop mitmachen zu können. Ende Juli war es dann endlich soweit. Es ging für eine Woche nach Hessen ins schöne Marburg. Der Kurs fand im Rahmen der 33. Marburger Sommerakademie für Darstellende und Bildende Kunst statt und mein Kursleiter hieß Lars Ruppel, einer der erfolgreichsten ,,Slammer“ unserer Zeit. Eine Woche lang jonglierten wir mit Worten, schrieben Gedichte, Zungenbrecher, Anagramme, gingen auf Synonymsuche, machten Stimmübungen und schrieben Briefe an uns selber. Wir liefen durch das märchenhafte Marburg auf der Suche nach Inspiration. Jeder suchte sich eine Stelle aus, auf der wir eine Stunde allein verweilten und die Umgebung auf uns wirken ließen. Ich ließ mich vor einer Ampel nieder und beobachtete eine Stunde, wie sie hypnotisierend von Grün auf Rot schaltete. Anschließend schrieb ich eine Kurzgeschichte über die Tragik des Ampelmännchen-Daseins. Es entstand ein witziger Dialog zwischen dem unbeliebten roten Ampelmännchen und dem eitlen, angeberischen grünen. Bei dem Workshop stellten wir einmal Nachrichtenkonfetti her. Das sind kleine Zettel, die mit Sprüchen, Wörtern, Witze, Zitate oder Weisheiten versehen sind. Diese Zettelchen ließen wir in fremde Taschen fallen, legten sie auf Bänke und verteilten sie in der Stadt, um die Marburger mit schönen Wörtern zu verzaubern. Zum Ende der Woche hin wurden wir in Dreier-Gruppen eingeteilt, um gemeinsam etwas zu dem Thema „Eine Minute“ zu erarbeiten. Aus unserer Gruppenarbeit entstand folgende Szene: Ein junges Mädchen erleidet einen Herzstillstand und bricht an einer Bushaltestelle zusammen. Eine Passantin ruft den Notarzt. Jeder in meiner Gruppe nahm die Rolle einer der drei Personen an und schrieb einen Text über die Minute, in der der Notarzt das Mädchen wiederzubeleben versucht. Es entstand eine emotionale Geschichte, in der die Sichtweisen der Personen geschildert wurden: die ernüchternde, sachliche Sicht des Arztes, die ergriffene, geschockte Sicht des Passanten und die Sicht der Sterbenden, die außerhalb der Realität steht und sich entscheiden muss.
Chantale R., 12e |