Das zentrale Lehrerzimmer ist out. Ein belagerter Hort voller emsiger Kolleginnen und Kollegen, die besonders in den Pausen unstet durcheinanderlaufen, Gesprächsfetzen, wie „Christina aus dem 12. braucht eine Unterschrift!", die ihr Ziel erreichen oder verlorengehen. Verzweifelte Suche nach dem Klassenarbeitsordner oder dem Klausurenplan. Beschwerden, Organisation, Suche nach Unterrichtsmaterialienen, Lernplänen und natürlich dem Butterbrot, alles mit einer Kaffeetasse in der Hand, Multitasking, bei dem wir Männer bekanntlich leicht verlieren.
Plötzlich war alles anders. Nach einer handstreichartig vorgenommenen Raumverkleinerung bewohnen wir mehrere kleine über den Ostteil des Schulgeländes verstreute Räume. Ein Schwamm hat die Atmosphäre des Lehrerzimmers aufgesogen. Aus gut unterrichteten Kreisen verlautet, Herr Münster sei bei seinen Vorbereitungen fürs 2. Staatsexamen auf dieses modulare Lehrerzimmerkonzept gestoßen und habe Herrn Lohmann dafür gewinnen können, eingefahrene Bahnen zu verlassen. Ein Beitrag zur Qualitätssteigerung an unserer Schule. Und Neuem gegenüber ist Herr Lohmann bekanntlich sehr aufgeschlossen.
Das Kollegium wurde vor eine echte Herausforderung gestellt, ohne Küche und Kaffeemaschine. Wer glaubt, dass ein Kollegium einen Unterrichtstag ohne Kaffee durchstehen kann, versteht von diesem Beruf ja nicht sehr viel. Frau Brennecke war es immerhin gelungen, in der Unübersichtlichkeit der Umbauarbeiten die Mikrowelle zu retten. Hoffnungsvoll versuchten einige damit, ihren Kaffee zuzubereiten, was nicht leicht war. Es fehlte an Kaffeepulver, einem Filter, vor allem aber an Wasser. Wasseranschlüsse hatten die Lehrerzimmer leider nicht.
Es lässt sich nicht mehr feststellen, ob der Kollege hier in der Umstellungsphase schier verzweifelt ist und sich seinem Kummer ganz hingab oder ob das fehlende Koffein sein System sabotierte. Diese kleinen Probleme fielen nach außen aber nicht weiter auf, weil Herr Lohmann die Schulleitungsmitglieder beauftragte, am Ende der großen Pausen alle eingeschlafenen Kollegen zu wecken. Wer allerdings dreimal eingeschlafen war, bekam eine Bemerkung in die Personalakte. Der fehlende Kaffee hatte aber auch seine Vorteile, da die neuen Lehrerzimmer über keine Toiletten verfügten. Das Konzept war insgesamt schon durchdacht.
Es sind ja häufig kleine Dinge, die das Leben verändern, wie hier die Jacke von Herrn Janssen. Durch seine neue Privatgarderobe bekam er am Ende seiner Laufbahn noch einmal vermehrt Kontakt mit den Mathelehrern, die erst an ihre Werkzeuge gelangen konnten, wenn sie mit Herrn Janssen diskutiert hatten, welche Rolle sie zukünftig bei Neuanpflanzungen für den Zukunftswald spielen wollten.
Die Erdkundelehrer haben bei der Neuverteilung der Räume sehr für den Raum mit dem versprochenen Bewegungsbad gekämpft. Zehn Minuten Schwimmen am Tag kann die Muskulatur ja so entspannen, dass der Unterricht gleich viel lockerer wird. Die Kollegen, die Angst vor Chlor haben, nennen diesen Raum nur das Aquarium und lassen sich hier nicht blicken. Eine unnötige Vorsichtsmaßnahme. Es gibt hier leider noch keinen Wasseranschluss, wie in den anderen Räumen. Ganz Eifrige versuchen aber mit Trockenübungen, den versprochenen Effekt zu erreichen. Hier übrigens ein Beispiel, wo Armzug und Atmung perfekt koordiniert sind.
Einige junge Kollegiumsmitglieder sehen die neue Situation nur positiv. Sie haben ein Möbelstück aufgetrieben, das es noch nie im Lehrerzimmer gab, ein gut erhaltenes Sofa. Man könnte sie als Autonome bezeichnen, da sie unabhängig von Kaffee und Wasser eine Methode zur Erbauung in den Pausen gefunden haben. Sie schöpfen die Kraft aus sich heraus und sind nicht auf fremde Hilfsmittel angewiesen. Übrigens auch eine sehr nachhaltige Methode, bei der man nicht auf Kosten von ausgebeuteten kolumbianischen Kaffeebauern lebt.
Bei jeder insgesamt vielversprechenden Reform muss es aber auch Verlierer geben. Bei uns sind es leider
die jüngeren Schüler. War früher der Lehrerzimmerbesuch für sie besonders im Winter eine beliebte Möglichkeit, den Schulhofbesuch zu vermeiden, finden sie jetzt ihre Lehrer fast gar nicht mehr. Einige sind verzweifelt und müssen von der Pausenaufsicht getröstet werden. Andere mieten sich mit einem Vanilletrunk großgewachsene Oberstufenschüler, die für sie dann die entsprechenden Lehrkräfte ans Fenster locken. Die SV findet die Zustände unhaltbar und will auf der nächsten Schulkonferenz heftig protestieren. Dabei hat sich die Experimentierfreude positiv aufs Kollegium ausgewirkt. Viele verstehen sich jetzt noch besser als vorher und sind traurig, wenn sie nach Hause fahren müssen.
J. Breuer