Was bleibt von der Schulzeit?

Zwölf Jahre Schulzeit, von 1959 bis 1971 (wir hatten damals ein so genanntes Kurzschuljahr). Und was ist geblieben für die späteren Jahre? Nichts! An keine einzige Begebenheit im Unterricht kann ich mich auf Anhieb erinnern, keinen markigen Satz eines Lehrers, keine Formel, keinen Ausspruch, mit Ausnahme der Sprüche, die jeder von uns kennt („333..." oder „veni vidi vici" usw.). Aber dass ich mich in späteren Jahren einmal an einzelne Aussagen erinnert hätte, wie „damals hat doch der Lehrer X folgendes gesagt ..."? - keine Spur. Der Numerus Clausus - den soll es bereits damals gegeben haben. Mich hat er völlig unberührt gelassen.

Ist wirklich nichts geblieben? Das kann nicht richtig sein, denn auch ich habe im Anschluss an die Zeit auf dem Ludwig-Meyn-Gymnasium studiert, Mathescheine, Statistikscheine - alles ohne Probleme erledigt. Später im Ausland Englisch gesprochen, Französisch gesprochen (und das nicht nur, um ein Bier zu bestellen, sondern um Geld zu verdienen). Die Berufsexamina - alle Berufsexamina (fast) auf Anhieb bestanden.

Wenn ich so zurückblicke auf die vergangenen nahezu dreißig Jahre nach dem Ende der Schulzeit, so muss doch bereits in der Schulzeit eine ordentliche Plattform geschaffen worden sein. Auf dieser Plattform konnte die universitäre Ausbildung aufgebaut werden und auf der dann neu entstandenen Plattform ist die berufliche Ausbildung entstanden und auf jener neuen Plattform ist dann die Freude an Literatur, Musik, Bildender Kunst gewachsen.

Und ist das alles, was von der Schulzeit übrig geblieben ist? Keinesfalls. Dazu muss der Leser wissen, dass ich in einer Zeit zur Schule gegangen bin, in der die Schule, und auch das Ludwig-Meyn-Gymnasium, einen gewaltigen Wandel erlebt hat. Unsere Oberstufenzeit fiel in die Jahre 1969 bis 1971.

Wir hatten zunächst nur Lehrer, die in Schlips und Kragen erschienen. Wir erinnern uns noch an Lehrer mit Schmissen im Gesicht. Ich kenne noch Lehrer, die hatten bereits meinen Vater an der Napola unterrichtet. Ich sehe noch den Biologielehrer, der morgens mit seinem Fahrrad die Seminarstraße hochschob, den Fahrradkorb (nicht einen dieser modernen Fahrradkörbe, sondern einen Korb zum Kartoffelsammeln) voller Grün aus dem Garten und vom Wegesrand, das anschließend Gegenstand des Schulunterrichts war. Ich erinnere mich - wie viele andere auch - an den Oberstudiendirektor, der zum Unterricht hin und wieder in Gummischuhen direkt aus dem Garten kam und dann simultan Sprachen und Mathematik unterrichtete.

Dieses war die eine Seite der Lehrerschaft und unserer Gesellschaft von 1969 bis 1971. Die andere Seite war geprägt durch die jungen Referendare. Sie hatten bereits die unruhigen Zeiten an den Universitäten erlebt. Sie erschienen plötzlich in Jeans und Pullover, sie boten uns das Du an, wenn auch nur vereinzelt. Diese Lehrer waren zumindest Zeitzeugen, wenn nicht Akteure der 68er Unruhen, von SDS und Anti-Vietnam-Kriegs-Demonstrationen.

Bewusst habe ich die Konflikte in den Lehrerzimmern nicht erlebt. Aber wenn ich mir die unterschiedlichen Persönlichkeiten vorstelle, dann bedarf es nicht großer Phantasie, um sich die Konflikte oder vielleicht auch die Sprachlosigkeit in den damaligen Lehrerzimmern vorzustellen. Was bleibt von der Schulzeit?

Und wir als Schüler? Wir haben in diesen Konflikten gelebt. Es war eine unruhige Zeit. Eine poltische Schülermitverwaltung ,das ewige Thema „Rauchen in der Schule" (Raucherausweise, Raucherecken), politische Arbeitskreise an Oberschulen, in denen endlos diskutiert wurde. Die Junge Presse Schleswig-Holstein, mit der wir politische Informationsreisen bis in die Tschechoslowakei (ein Jahr nach dem Prager Frühling) gemacht haben. Diese Dinge haben uns weitaus mehr beschäftigt als mancher Unterricht.

Von diesen Erlebnissen in der Schulzeit ist viel übrig geblieben. Übrig geblieben ist eine hohe Sensibilität für politische Konflikte, insbesonders eine hohe Sensibilität für politische Entwicklungen, die unsere Freiheit beschränken. Der Konflikt um die Notstandsgesetze, letztlich eine Auseinandersetzung um drohende Allmachtsansprüche des Staates, wird uns unvergessen bleiben. Bei der heute allgegenwärtigen, von vielen Bürgern (und insbesondere den Jugendlichen) akzeptierten ungehemmten Gier des Bürokratismus, Informationen über die Bürger zu sammeln, ist dieser Konflikt kaum noch vorstellbar.

So ist aus den ersten Überlegungen zu der Frage „Was bleibt von der Schulzeit?" nicht nur die kurze Antwort, dass nichts geblieben ist, entstanden, sondern die Überzeugung gewachsen, dass uns die Schulzeit, die 1971 mit dem Abitur endete, vielfach geprägt hat.

C. Frese