Bombige Zeiten?

„’Bombige Zeiten’: Das Ludwig-Meyn-Gymnasium im II. Weltkrieg“, so wurde ein Beitrag in den Uetersener Nachrichten am 9. November 2013 betitelt. Er sollte dem Leser anscheinend zeigen, wie es in dieser Zeit an der Ludwig-Meyn-Schule aussah. Abgedruckt waren Bilder, u. a. von zwei Bombentreffern in Uetersen während des Zweiten Weltkriegs und dazu eine nationalsozialistische Propagandadarstellung deutscher Soldaten im „Heldenkampf“ an der Flak gegen die alliierten Bomber. Die Autorin berichtet von Granatsplittern auf dem Schulhof, „die interessante Tauschobjekte“ für die Kinder gewesen seien. Und sie erzählt, wie sie damals als Kind im Schulgebäude Rollschuhlaufen gelernt habe.

Dies kann freilich keine angemessene Darstellung der Ludwig-Meyn-Schule in der Zeit des Zweiten Weltkriegs sein: eine Mischung aus bisweilen verklärter Weltkriegsdarstellung und spielenden Kindern. Juden, Antisemitismus, Konzentrationslager, Zwangsarbeiter, Diktatur, Nationalsozialisten, Hitler - all diese Worte tauchen in dem Artikel nicht einmal auf, obwohl auf einer ganzen Zeitungsseite dazu sicher genug Platz gewesen wäre. Stattdessen liest man nur von „Bombigen Zeiten“.
Nun verwundert all das nicht, wenn man sich vergegenwärtigt, wer die Autorin ist, nämlich die Tochter des Schulleiters, der die Ludwig-Meyn-Schule (LMS) von 1934 an geführt hat: Hinrich Apfeld. Damit stellt sich die Frage, wie es jenseits der subjektiven und selektiven Erinnerungen tatsächlich an der Schule in der Zeit des Nationalsozialismus aussah.
Die vorliegenden Dokumente zu diesem Teil der Schulgeschichte sind begrenzt. In der Zeit nach 1945 schien man auf vieles nicht mehr so stolz zu sein, was man vorher noch beschworen hatte. Einiges wurde wohl mit der Absicht der Vertuschung vernichtet. In den späteren Jahren entledigte man sich weiterer Quellen der Schulgeschichte, anscheinend auf Grund eines gleichgültig-geschichtslosen Umgangs des Lehrkörpers mit der Vergangenheit der eigenen Institution.
Gleichwohl konnten in den letzten Jahren in den verschiedenen Archiven im Bundesgebiet Dokumente aufgefunden werden, die einen Blick auf die LMS während der NS-Zeit ermöglichen. Ein Weg, sich der Institution in dieser Zeit zu nähern, ist der Zugang über die Biographie der Schulleiter.
Der erste Schulleiter war Bernhard Pein, der schon vor 1933 der NSDAP beigetreten war, 1933 sogar als Ortsgruppenleiter der Partei in Erscheinung trat. Im März 1933 hielt der lokale NS-Funktionär eine Rede bei der feierlichen Hissung der Hakenkreuzfahne auf dem Uetersener Rathaus, in der er unter anderem ausführte: „Der Einfluß fremdrassischer Mächte auf unser Geistesleben muß gebrochen werden.“
Pein verließ bereits Anfang 1934 die Schule und ging nach Berlin. Ihm oblag dort der Aufbau der Napola, einem nationalsozialistischen „Eliteinternat“.

Rektor Apfeld führt die Schule
Hinrich Apfeld war sein Nachfolger als Rektor der LMS und steht für die Fortführung dessen, was Pein begonnen hatte. Dies verwundert auch kaum, denn im Jahre 1934 wurde sicher kein regimekritischer Schulleiter berufen. Apfeld, seit 1933 Mitglied der SA-Reserve und seit 1937 Mitglied der NSDAP, berichtete 1935/36, dass 93,28% seiner Schüler in der Hitlerjugend organisiert seien, „der Rest in der S.A. und S.S.“, um dann zu bewerten: Die Zusammenarbeit zwischen Schule und den nationalsozialistischen Gliederungen „gestaltete sich außerordentlich fruchtbar und harmonisch.“
Die aufgefundenen Jahresberichte der LMS ermöglichen nunmehr einen genaueren Einblick in die Zeit der Schule während des Nationalsozialismus. Der Schulleiter, der diese Berichte selbst verfasst hatte, dokumentierte hier, wie die Schüler erzogen werden sollten. Im Mittelpunkt standen dabei verschiedene Aktionen und Feierlichkeiten, bei denen Apfeld immer wieder eine zentrale Rolle spielte. So wurde im Jahr 1936 der Geburtstag Adolf Hitlers gefeiert. Zunächst wurde den Schülern ein nationalsozialistischer Film gezeigt. In dem Jahresbericht ist zu lesen: „Anschließend in der Aula Morgenfeier zum Geburtstag des Führers. Ansprache hält der Direktor.“ Im selben Jahr wurde an der LMS eine „Schulfeier zur Machtübernahme“ der Nationalsozialisten organisiert. Als im August 1934 eine „Volksabstimmung“ damit endete, dass das „Volk“ damit einverstanden sei, dass Hitler fortan nicht mehr nur Reichskanzler war, sondern auch die Kompetenzen des Reichspräsidenten übernehmen sollte, kommentierte auch Apfeld das Ereignis. In seinem Jahresbericht notierte er freudig: „Gemeinsame Feier mit der Volks- und Mittelschule auf dem Schulhof anläßlich des großen Wahlsieges. Die Ansprache hielt der Direktor.“

Arbeitsgemeinschaft Rassenkunde
Wie wichtig die rassistische und antijüdische Propaganda an der Schule war, erkennt man auch daran, dass die LMS Houston Stewart Chamberlain 1937 zu dessen 10. Todestag mit einer Gedenkfeier ehrte. Chamberlain hatte bereits 1899 mit „Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts“ ein antisemitisches Buch verfasst, das in Deutschland zu einer Art Kultbuch wurde und auch Hitler beeinflusste.
In diese rassistische Orientierung passt es, dass an der LMS immer wieder Arbeitsgemeinschaften zur „Rassenkunde“ angeboten wurden. In deren Zentrum standen Schuljahresthemen wie „Der Bolschewismus“ oder „Geschichte als Rassenschicksal“. Letztere bot Apfeld als Schulleiter höchst persönlich an. Hierzu passt auch eine Rede, die Apfeld im März 1943 vor den LMS-Schülern hielt. Dort führte er suggestiv gegenüber den Schülern aus, ihnen sei es „zur Gewissheit“ geworden, „dass die Reinhaltung des Blutes die heilige Verpflichtung für jeden Deutschen ist.“
Auch bei den Themen, die die Schüler in Aufsätzen bearbeiten mussten, zeigte sich immer wieder die nationalsozialistische Ausrichtung der Schule. So sollten sich die Schüler im Schuljahr 1936/37 mit dem Hitler-Zitat auseinandersetzen: „In der Volksgemeinschaft hat nur der ein Recht zu leben, der bereit ist, für die Volksgemeinschaft zu arbeiten.“

Unkritischer Umgang mit dem NS-Erbe
Apfeld und die LMS versuchten aber nicht nur in die Schule hineinzuwirken, sondern auch auf die angehenden Lehrer und bereits tätige Lehrer jenseits von Uetersen ideologischen Einfluss zu nehmen. 1934 fand an der Uetersener Schule die Kreistagung des Nationalsozialistischen Lehrerbundes statt. Im Oktober 1935 besuchten 46 Referendare die LMS. Apfeld sprach bei einer Morgenfeier zu ihnen, wo er „grundlegende Ausführungen über die Erziehung im neuen Staat“ machte.

Die Ludwig-Meyn-Schule war eine nationalsozialistische Lehranstalt. Diese Zeit lässt sich nicht entpolitisieren, indem man sie auf Rollschuhlaufen und Kindergeschichten reduziert und wortspielerisch von „Bombigen Zeiten“ spricht.
Bedenklich ist zudem, dass der Artikel der Apfeld-Tochter dann noch am Jahrestag der „Reichspogromnacht“ in den Uetersener Nachrichten erschien. 75 Jahre nachdem in Deutschland die Synagogen brannten!
Man muss sich ernsthaft fragen, wie es heute um einen kritischen Umgang mit der NS-Zeit bestellt ist. Es wäre tragisch, wenn noch immer oder irgendwann wieder stimmen sollte, was der Mentor der Geschwister Scholl, Josef Furtmeier, kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Dezember 1946 schrieb: „Es ist alles vergessen: Die Kriegserklärungen, der Überfall auf die Nachbarstaaten, die Gestapo, die Vergasungen, die K.Z.-Lager, die Ghettos, die Verschleppungen.“

S. Zankel


Publikationen unseres Experten:

Sönke Zankel (Hrsg.), Uetersen im Nationalsozialismus. Schüler der Ludwig-Meyn-Schule erforschen die Geschichte ihrer Stadt, Kiel 2009.
Das Buch ist auch in der zweiten Auflage vergriffen. Es kann aber in digitaler Form über das Sekretariat unserer Schule bestellt werden.


Sönke Zankel (Hrsg.), Uetersen und die Nationalsozialisten. Von Weimar bis in die Bundesrepublik. Neue Forschungsergebnisse von Schülern des Ludwig-Meyn-Gymnasiums, Kiel 2010 (Herausgeber)
Das Buch ist im Sekretariat unserer Schule erhältlich.