Im Land der Gegensätze
Wie ich mit einem doch etwas schelmischen Grinsen erfahren habe, versinkt Deutschland bzw. Europa, während ich die Wochenenden am Strand verbringe, in Schnee und trister Eiseskälte. Allein dieser Zustand scheint neben zahlreichen weiteren Gründen für mich Bestätigung genug, ans andere Ende der Welt gereist zu sein, um hier immerhin drei Monate meines doch so kurzen Lebens zu verbringen: in einem Land, zerfressen von so gefräßigen Mechanismen wie der Kriminalität und der Korruption, in ein Land mit täglich über 50 Morden und hunderten Vergewaltigungen. Doch diese grausame Seite Südafrikas habe ich bislang nur aus Erzählungen und Zeitungen erfahren und musste sie noch nicht erleben.
Stattdessen lerne ich jeden Tag aufs Neue lebensfrohe, lustige, zu jeder Zeit tanzende und singende Schwarze, Couloureds und Weiße – dies im F
alle Südafrikas zu erwähnen, halte ich für notwendig – kennen, die gemeinsam sich freuen, als ein funktionierendes Ensemble auf der wundersamen Bühne des Lebens zu tanzen. Und das gerade mal 16 Jahre nach dem Ende der Apartheid. Die allgemeine Lockerheit und Gelassenheit, mit der viele hier ihr oftmals wirklich tristes und hartes Tagwerk verrichten, ist wahrlich bemerkenswert. Überall wird immer wieder spontan angefangen zu singen und zu tanzen, niemand steht so unter dem Zeitdruck wie der Europäer.
Es ist tatsächlich ein wenig verwirrend, wenn ich das Leben hier mit meinem Verhalten frühmorgens vier Wochen zuvor vergleiche, doch ich stehe jeden Morgen, sei es zu beliebig früher Stunde, mit einem Lächeln im Bad und ziere mich vor Schule, Kirche oder sonstiger „Pflichterfüllung“. Wobei weder die Schule noch die Kirche auch nur den geringsten Anlass zurzeit dafür liefern kön
nten.
In der Schule gibt es vier compulsory subjects: English, Afrikaans – meine alltägliche Lese-und Traumstunde –, Life Orientation, welches den Masterplan des Lebens vermitteln soll, und Math. Die restlichen drei Fächer darf man sich beliebig aus einer Reihe teilweise exotischer Fächer aussuchen, wie Tourism oder Consumer Studies. Von dieser Möglichkeit machte ich auch fleißig Gebrauch und belegte unter anderem Ceramics (Töpfern!).
Aufgrund der unzureichenden Sicherheitslage ist mir allerdings nicht erlaubt, alleine durch die Straßen zu laufen oder alleine die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. Trotzdem begreife ich meinen Aufenthalt hier als eine riesige persönliche Bereicherung.
Per S., 11e